Viele Unternehmen haben ein Angebot an familienbewussten Maßnahmen entwickelt. Aber können alle Beschäftigten die Maßnahmen nutzen, passen sie zu den verschiedenen Lebenssituationen und wird das Angebot selbstverständlich genutzt? Unverbindliche Angebote werden dem veränderten Selbstverständnis der Beschäftigten und ihrem Wunsch nach Selbstorganisation, auch für Vereinbarkeit, nicht mehr gerecht. Gleichzeitig ist eine familienbewusste Unternehmenskultur entscheidend für die Attraktivität als Arbeitgeber. Der IT-Dienstleister GISA mit Hauptsitz in Halle (Saale) und 960 Mitarbeitenden hat erkannt, dass vertraglich verankerte Vereinbarkeitsmaßnahmen ein starkes Fundament für die Wahrnehmung ihrer familienbewussten Unternehmenskultur bilden.
Von punktueller Rücksichtnahme zu lebensphasenbewusstem Arbeiten
Familienbewusstsein gehört seit jeher zum Selbstverständnis der Unternehmenskultur. Aber Anja Kutzler, Unit Director Human Resources bei GISA stellt einen Wandel fest: „Waren es früher faire Besprechungszeiten, die nicht über 17.00 Uhr hinausgingen, so bieten wir heute viel mehr und haben uns auch auf verschiedene Lebensphasen eingestellt. Wir wollen ein Arbeitsumfeld bieten, dass ganz individuell passt und unseren Mitarbeiter*innen vermittelt, dass wir sie als Personen wertschätzen und ihre Leistung.“
Betriebsvereinbarungen schaffen Sicherheit – auch bei Veränderungsbedarf
Schon seit mehr als zehn Jahren können die Beschäftigten bei GISA im Rahmen einer freiwilligen Betriebsvereinbarung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, u.a. einen Kinder- bzw. Pflegebonustag pro Quartal und Zuschüsse zur Kinderbetreuung nutzen. Beschäftigte, für die diese Vereinbarung nicht relevant war, konnten sich einer freiwilligen Betriebsvereinbarung zur „lebensphasenorientierten Arbeitszeit“ anschließen und so durch Gehaltsverzicht zusätzliche 6, 12 oder 18 Urlaubstage beantragen.
In der Corona-Pandemie wurde die Betriebsvereinbarung an die veränderten Vereinbarkeitsbedingungen angepasst. Das gilt zum Beispiel für die Kinderbonustage, die bei Homeschooling oder Quarantäne am Stück und nicht nur pro Quartal genommen werden können. Auch in der vierten Welle gilt, wie schon in der ersten Welle, wieder die Devise „Homeoffice first“, erzählt Kutzler: „Das Vertrauen in die Belegschaft ist sehr hoch, der Arbeitszeitrahmen erweitert und die familienfreundlichen Maßnahmen können bei Bedarf wahrgenommen werden.“
Dauerhafter Anspruch auf familienfreundliche und lebensphasengerechte Vereinbarkeit
Waren schon die Betriebsvereinbarungen eine starke verbindliche Grundlage für eine familienbewusste Unternehmenskultur, ist der im Januar 2022 mit ver.di geschlossene Tarifvertrag ein konsequenter Schritt nachhaltiger Personalpolitik. (Quelle) Dabei wurden die beiden Betriebsvereinbarungen inhaltlich unverändert in den neuen Tarifvertrag überführt – ohne den Vorbehalt der Freiwilligkeit. Damit zeigt GISA, wie Verbindlichkeit für alle Seiten geschaffen werden kann, denn der Tarifvertrag bezieht alle Beschäftigten gleichermaßen mit ein.
Im Aushandlungsprozess spielte bei GISA daher das Verständnis von Familie eine zentrale Rolle: „Wir haben schon sehr frühzeitig im Jahr 2009 im Rahmen des Auditierungsverfahrens Beruf und Familie den Begriff ‚Familie‘ für unser Unternehmen definiert und recht weit gefasst. Zur Familie gehören selbstverständlich nicht nur Ehepartner*innen sondern auch Lebenspartner*innen, die im selben Haushalt leben“, erklärt Kutzler. Mit dem Tarifvertrag ist dieses Verständnis nun gemeinsam mit den Vereinbarkeitsmaßnahmen bei GISA nachhaltig gestärkt und fest verankert.
Wenn die sich in den Lebensphasen verändernden Interessen aller Beschäftigten mit einer verbindlichen Vereinbarkeit berücksichtigt werden sollen, müssen die unterschiedlichen Perspektiven immer wieder kommuniziert und gegeneinander abgewogen werden. Gemeinsame Zielsetzungen sind relevant, um an Erfahrungen und Learnings der letzten Monate anzuknüpfen und mit neuen Entwicklungen umzugehen. So wird verhindert, dass sich verschiedene möglicherweise gegensätzliche Erwartungshaltungen entwickeln. Eine institutionalisierte Form von Vereinbarkeit schafft dabei Sicherheit für alle Beteiligten.
Was können Unternehmen tun, um mit Veränderungen und Entwicklungen Schritt zu halten und dennoch Vereinbarkeit verbindlich zu gestalten?
- Machen Sie das Thema Vereinbarkeit zum regelmäßigen Bestandteil von Mitarbeitendengesprächen. So erfahren Sie unmittelbar von den Beschäftigten selbst, ob und wie sich Ansichten und Bedürfnisse verändern. Zugleich erleben die Beschäftigten, dass ihre Vereinbarkeitsbedürfnisse als Arbeitsbedingungen ernst genommen werden.
- Wenn Sie Vereinbarkeitsmaßnahmen anbieten, fragen Sie Ihre Beschäftigten, wie diese Maßnahmen wirken, was besonders hilfreich ist und welche Faktoren vielleicht noch von der Nutzung abhalten.
- Unternehmen mit einem Betriebsrat sollten diese Chance nutzen und gefundene Lösungen in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung verankern. Darin können die Nutzungsbedingungen eindeutig geklärt werden, was Verbindlichkeit und Sicherheit schafft und nicht zuletzt auch Führungskräften in der Kommunikation und Aushandlung mit den Beschäftigten hilft.
- In Unternehmen ohne Betriebsrat ist eine Betriebsvereinbarung nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht möglich. Dennoch ist es sinnvoll, die Vereinbarkeitsangebote und Nutzungsregeln zu verschriftlichen und für alle Beschäftigten gut auffindbar zu hinterlegen. Auch eine Veröffentlichung von neuen Möglichkeiten in der internen Kommunikation, wie Intra-Net, Newsletter und Ähnliches, schafft Verbindlichkeit und Vertrauen.
Die Unternehmenskultur zu gestalten ist ein fortlaufender Prozess
Wenn es um die nachhaltige Gestaltung der eigenen Unternehmenskultur geht, ist es erforderlich, die getroffenen Vereinbarungen auf den Prüfstand zu stellen und weiterzuentwickeln. Für Anja Kutzler steht dabei fest, dass mit der richtigen Haltung auch weiterhin möglichen Veränderungen Rechnung getragen werden kann, denn: „Der Begriff Familie ändert sich und wir werden darauf auch in Zukunft achten.“